Mongolei – Land der weiten Steppen
Reisebericht Mountainbike Reise in Zentralasien
Eine Mountainbike-Tour durch die Mongolei bietet weder knackige Single-Trails noch rasante Downhills – dafür aber eine spannende Zeitreise in eine ferne Welt durch eine faszinierende Steppen-Landschaft auf den Spuren Dschingis Khans.
Reisestart in Ulan Bator
Die Stadt liegt im Fieber. Bei gefühlten 35 Grad Hitze kocht die Luft an diesem Julitag in den Strassen Ulan-Bators, die Kleider kleben erbarmungslos am Leib. Dabei ist die mongolische Metropole mit minus 2° C Jahresdurchschnitts-Temperatur die kälteste Hauptstadt der Welt. Wir ahnen, dass wir uns mit der bevorstehenden Mountainbike-Tour in der Mongolei auf ein ganz besonderes Abenteuer einlassen. Bis wir zwei Tage später aufs Bike steigen, tummeln wir uns im Glutofen Ulan-Bator auf Plätzen weit wie die mongolische Steppe, die noch vom russischen Sozialismus zeugen; wir staunen über die vielen ultramodernen Jeeps in den Strassen und über die mondänen jungen Stadtmongolinnen, die aussehen, als wären sie einem westlichen Modemagazin entstiegen.
Mit dem Nachtzug in die mongolische Steppe
Nach zwei Tagen Hauptstadtleben und einer 11-stündigen Bahnfahrt in Richtung Norden spuckt uns die romantische Eisenbahn in der mongolischen Einsamkeit aus. Fünfzehn Bikerinnen und Biker, meist Paare mittleren Alters, die sich auf eine gemeinsame, 650 km lange Reise durch die Mongolei einlassen. Am Tag auf dem Bike, nachts in der Jurte – wenig Action, dafür Natur pur. Das Gepäck verstauen wir in drei robusten 4×4-Begleitfahrzeugen, die auch uns Biker jeden Tag für lange Transfers an Bord nehmen. Ein geländegängiger Laster transportiert unsere Bikes. Schon der Transfer zum Ausgangspunkt unserer Biketour ist beschwerlich und gibt uns eine Ahnung von dem, was uns die nächsten zwei Wochen erwartet: Die russischen Gefährte kommen auf der Erdpiste mit Schlaglöchern, die so gross sind wie Babybadewannen, kaum voran; sie schaukeln wie Schiffe auf hoher See.
Burschen auf den Pferderücken
Definitiv wohler als im Begleitfahrzeug fühlen wir uns auf unseren Mountainbikes, als unsere Reise auf dem Zweirad endlich beginnt. Tritt für Tritt tauchen wir ein in eine andere Welt. Um uns Weite; hügelige grüne Steppe bis zum Horizont. Und über uns ein Himmel wie die Ewigkeit. Klein sind wir auf unseren Bikes in dieser unendlichen Landschaft, klein und unbedeutend in Zeit und Raum. Für die vierzig bis hundert Kilometer pro Etappe sitzen wir jeden Tag einige Stunden auf dem Mountainbike. Vorne weg radelt der mongolische Guide, ein Radrennfahrer, dem die Schnellsten der Gruppe am Hinterrad kleben. Bald zieht sich das Feld auseinander. Jeder geniesst es, in seinem eigenen Tempo durch Herden grasender Ziegen, Yaks und Rinder zu fahren und Pferde mit wehenden Mähnen über die weiten Talgründe galoppieren zu sehen. Verstreut liegen in der Ferne ein paar Jurten, Rauch steigt aus dem Kamin, ein Motorrad zieht kaum hörbar am Horizont vorbei, eine Herde Yaks wie kleine Punkte auf den endlosen Wiesen verstreut, am Himmel schwebt lautlos ein Adler in der warmen Sommerluft.
Wenn wir an einer Jurte vorüber biken, bellen die Hunde und werden von den Nomaden zurückgepfiffen. Dann kommen Kinder gelaufen oder geritten, rote Backen von Wind und Wetter, glänzende Augen vor Freude: Es ist selten, dass hier Touristen vorbeikommen, schon gar nicht mit dem Bike. Mädchen mit dünnen schwarzen Zöpfen und stolzem Blick, Jungen, die sich lässig auf den Rücken ihres Pferdes legen wie auf ein Sofa, während sie uns beim Picknick zuschauen. Hin und wieder wagt sich ein Kind auf eines unserer Bikes, strampelt mutig und wackelig übers Steppengras. Begeisterung, Gelächter und eine beglückende Verbundenheit liegt über der Begegnung zweier Kulturen.
Jede Flussquerung ein Abenteuer
Wir biken auf staubigen Pisten, die sich oft mehrspurig durch die Landschaft ziehen, da die Jeeps der Nomaden auf der Suche nach einem Durchkommen immer neue Spuren legen. Es gibt kaum befestigte Strassen in der Mongolei, nur wenige Brücken und kaum Strassenschilder. Die einheimischen Fahrer unserer Begleitfahrzeuge orientieren sich nicht nach Karte oder GPS, sondern an den Hügeln und Bergen, die für uns Touristen alle gleich aussehen. Diese sind das einzig Konstante in der grünen Steppenlandschaft. Sogar auf die Flüsse ist hier kein Verlass. Sie suchen sich ihr Bett immer neu, weshalb jede Durchquerung mit Jeep und Lastwagen zum Abenteuer wird. Was gestern eine Furt war, ist heute keine mehr. Gelassen oder sogar mit so etwas wie Abenteuerlust nehmen unsere vier mongolischen Fahrer das Risiko in Kauf, ein stundenlanges Spektakel zu veranstalten, wenn wieder einmal eines unserer Gefährte zu versinken droht. Schwächstes Glied in unserer Fahrzeugflotte ist der Lastwagen mit unseren Bikes, der über keinen Allradantrieb verfügt. Passiert das Unvermeidliche, ist jeweils Geduld gefragt. Besonders als Biker, die wir eigentlich nicht zum „Autos-aus-den-Fluten-Ziehen und Warten“ sondern zum Radfahren in die Mongolei gekommen sind. Wir lernen schnell, dass Zeit keine Rolle spielt in diesem unendlichen Land, dass aber Muskelkraft und Erfindergeist unerlässlich sind, um einen Karren aus dem Dreck oder einen Laster aus den Fluten zu retten.
Auch mit dem Bike ist eine Flussdurchquerung jedes Mal ein Abenteuer. Die Wagemutigsten unter uns pedalen mit Schuss durch die Bäche und sorgen für Begeisterung, wenn sie trockenen Fusses das Ufer erreichen. Fast alle ziehen wir aber Bikeschuhe und Strümpfe aus, schultern unsere Bikes oder helfen uns gegenseitig beim Hinübertragen und waten, Balance suchend, durchs eiskalte Wasser und über den glitschigen Grund. Grosse Erheiterung, wenn jemand sich gerade noch akrobatisch vor dem Ausrutschen rettet, und Gejohle, wenn er taucht.
Gegorene Stutenmilch in der Jurte
Hin und wieder werden wir unterwegs von den gastfreundlichen Mongolen in eine Jurte eingeladen. Was dies bedeutet, wissen wir bald: Man wird uns Airag anbieten. Die vergorene Stutenmilch mit ihrem etwas säuerlichen Geruch und dem leichten Alkoholgehalt ist das Lieblingsgetränk der mongolischen Nomaden. Ohne Airag geht hier gar nichts. Unsere Fahrer lassen sich stets ein oder zwei Pet-Flaschen davon abfüllen für die Weiterreise. Wir Schweizer Biker haben mit dem Airag dagegen unsere liebe Mühe: Zu fremd ist uns der Geschmack, zu gross das Risiko, unsere heiklen Bikermägen mit der abführenden Wirkung zu überfordern. Doch die angebotene Schale Airag abzulehnen, gilt als unhöflich. Darum drücken sich einige von uns vor der Einladung in die Jurte und begeben sich auf die Suche nach Fotosujets. Neben zwei schmucken Motorrädern liefern sich jugendliche Mongolen in Reitermänteln und hohen Stiefeln spielerische Ringkämpfe. Das Kräftemessen wird von den jungen Mongolenmädchen belacht und beklatscht. Schliesslich schwingt sich die Jugend jeweils zu dritt auf ein Motorrad und braust davon.
Zu Gast in der Jurte
Derweil werden wir anderen durch die niedrige Türe in die fensterlose, gemütliche Jurte gebeten und harren dem Airag, der da kommen wird. Sein Geruch liegt leicht säuerlich in der Luft. Uns wird der Platz des Gastes zugewiesen. Dieser Ehrenplatz, an dem auch die Sippenältesten sitzen, befindet sich genau gegenüber der Eingangstür, die bei den Jurten der mongolischen Nomaden stets nach Süden gerichtet ist. Am Ehrenplatz in der Jurte steht ein kleiner Altar mit Ahnenbildern. In der Jurte, die abgebaut und zusammengepackt auf einem Laster oder drei Kamelen transportiert werden kann, hat alles seinen festen Platz: Der Osten des Nomadenzelts ist die Seite der Frauen und der Küchenbereich, der Westen die Seite der Männer mit Platz für Gewehre, Sättel und Zaumzeug. Im Zentrum steht der Ofen, dessen Kamin den Rauch durch die runde Dachöffnung ins Freie führt. Die mongolische Gastgeberin reicht uns Schalen randvoll mit dem unvermeidlichen Airag. Wir nippen höflich daran, mimen tapfer Wohlgefallen und hoffen, sein Gärstadium möge nicht allzu weit fortgeschritten sein.
Die Trails sind technisch leicht
Als wir wieder aufs Bike steigen, ist uns der Alkoholgehalt doch ein wenig zu Kopf gestiegen. Aber zum Glück brauchen die hiesigen Wege nicht unsere volle Konzentration. Wer technisch anspruchsvolle Trails fahren will, muss nicht in dieses asiatische Land zwischen China und Russland reisen, jedenfalls nicht in diese Gegend. Wer hingegen Landschaften von unglaublicher Schönheit sucht, kommt voll auf seine Kosten. Nadelbäume, Wiesen, Hochmoore und Tundra prägen diesen nördlichen Teil der Mongolei. Die Wiesen sind durchsetzt mit einer unglaublichen Blumenpracht, die uns immer wieder für ein Foto innehalten lässt. Üppig und in allen Farben durchziehen sie das Grün: Akelei, Rittersporn, Lilien, Orchideen, sogar Enzian und ganze Teppiche von Edelweiss blühen hier in freier Natur. In der Luft liegt ein Duft wie in einem Kräutergarten und lädt zum Mittagspicknick mit anschliessender Siesta ein.
Bizarre und eindrückliche Landschaft
Doch die Mongolei ist nicht nur lieblich. Direkt an unserer Bikeroute liegt die 60 Meter tiefe Schlucht, die der Fluss Chuluut mit seiner unglaublichen Wasserkraft gegraben hat. Markant ragt weiter im Norden der erloschene Vulkan Khorgo mit seinem 200 m breiten Krater in den Himmel. Wir biken über einen erstarrten Lavastrom. Feiner schwarzer Lavasand knirscht unter den Rädern unserer Bikes, schwarzes Lavagestein fordert viel Balance. Ziel dieses Tages ist der Tsagaan See, einer der bezauberndsten Orte der Mongolei. Der Weisse See ist bekannt für sein kristallklares Wasser und für seinen Fisch- und Vogelreichtum. Den letzten Anstieg nehmen wir im kleinsten Gang und keuchen dennoch ganz schön. Doch erst ganz oben auf dem kleinen Pass verschlägt es uns richtig den Atem: Im Abendlicht liegt uns in einem Hochtal auf 2000 m.ü.M. glitzernd der Weisse See zu Füssen. Auf einer Landzunge in Reih und Glied ein paar weisse Punkte direkt am Ufer: Unser Jurtencamp für diese Nacht.
Mongolischer „Jacuzzi“ und Murmeltierbraten
Wir schnappen unser Gepäck aus den Fahrzeugen und beziehen jeweils zu zweit eine Jurte. Diese sind, je nach Camp, gemütlich klein oder fürstlich gross und immer bestückt mit zwei Betten, einer Kommode und einem Bollerofen. Hier und da wartet auf uns in einem Camp neben der warmen Dusche auch noch eine heisse Quelle. Was für ein Fest, wenn wir nach einer langen Biketour gemeinsam im dampfenden Wasser entspannen und lachend die Abenteuer des Tages Revue passieren lassen – open air natürlich und mit einem Drink oder dem Fotoapparat in Griffnähe. Das heisse Schwefelwasser tut auch unseren Rücken gut, die mehr von den langen Bustransfers als vom Biken in Mitleidenschaft gezogen werden. Nach einem langen Biketag sind wir hungrig und neugierig auf eine mongolische Spezialität: etwa auf Hammelfleisch, in einer Milchkanne mit heissen Steinen gegart. Fleisch, Kartoffeln sowie die fettigen heissen Steine, alles kommt auf den Teller. Die glänzenden schwarzen Steine sind natürlich nicht zum Verzehr gedacht, sondern werden für ihre heilende Wirkung gepriesen: Wir legen sie auf unsere vom Airag aufgewühlten Bäuche und geniessen die wohltuende Wärme. Unsere einheimischen Fahrer tun sich derweil an Murmeltierbraten und Airag gütlich.
Während wir in der Restaurant-Jurte zusammen sitzen, die ein riesiger, mit silbernen Ornamenten beschlagener Gusseisenofen herrlich wärmt, werden in unseren Schlaf-Jurten die kleinen Bollerofen eingeheizt. Auch wenn wir tagsüber in kurzer Bikehose und Kurzarm-Shirt auf dem Rad sitzen; die Nächte in der Mongolei sind kalt und oft nahe bei null Grad. Eine behagliche Wärme empfängt uns in der Jurte, zieht aber bald durchs offene Rund im Jurtendach ab und macht einer eisigen Kälte Platz.
Das Reich Dschingis Khans
Auf der Königsetappe folgen wir fast hundert Kilometer dem breiten Fluss Orkhon, der zielstrebig Richtung Charchorin fliesst. Als die Sonne schon tief über dem Hügel steht, der uns noch von der versunkenen Hauptstadt des ehemaligen mongolischen Weltreichs trennt, ziehen Wolken auf. Sie türmen sich schwarz und schwer über dem Fluss und schieben sich in Windeseile näher. Unter ihnen legt sich ein dunkler Schattenschleier über die silberngrün in der Sonne glitzernde Landschaft mit den weidenden Pferden, verschluckt das Glitzern der Wiesen und färbt den Orkhon schwarz. Kurz darauf öffnet der Himmel seine Schleusen, und wir retten uns vom Bike in die Begleitfahrzeuge, die uns durch die Sintflut nach Charchorin bringen.
Karakorum, das heutige Charchorin, war einst die blühende Hauptstadt des mongolischen Weltreichs unter Dschingis Khan, das sich ums Jahr 1200 vom Pazifischen Ozean bis zum Mittelmeer erstreckte. Heute besteht der Ort noch aus ein paar einfachen Häusern und dem buddhistischen Kloster Erdene Zuu. Wer hier nach den Spuren Dschingis Khans sucht, sucht umsonst. Mit dem Zerfall des grossen mongolischen Reiches wurde Karakorum aufgegeben und später durch mandschurische Horden zerstört. Nichts als Stille, Weite und eine Ahnung einer grossen Vergangenheit liegen über der unendlichen Steppe, unter welcher Zeugen einer versunkenen Kultur schlummern.
Seltene Przewalski Pferde
Trotzdem liegt ein leises Versprechen von Glanz über dieser Stadt mitten im Niemandsland. Zumindest für Aynur. Das mongolische Mädchen ist zehn Jahre alt und weilt für den Sommer in der Stadt. Sie lebt, wie die Hälfte der 2,5 Millionen Mongolen, in Ulan-Bator, wo sie eine Artistenschule besucht. Die zierliche Grazie mit dem vollmondrunden Gesicht und den Augen wie leuchtende Sterne, tritt als Schlangenmädchen in einer Artistentruppe auf, die mit dem typisch mongolischen Kehlkopfgesang und der zweisaitigen Pferdegeige mongolisches Volksgut zeigt. Abends verbiegt die grazile Aynur sich auf der Bühne im Jurtencamp mit atemberaubender Geschmeidigkeit für die staunenden Touristen, geniesst den Applaus und träumt von einer glamourösen Zukunft. Nachts in der Jurte träumt sie sich zu ihrer Familie nach Ulan-Bator.
Mit wehmütigem Blick lässt uns Aynur in die Hauptstadt ziehen. Wir Schweizer Biketouristen sind schneller zurück in Ulan-Bator als sie, die sich für ihre ganzen Sommerferien den Auftritten verpflichtet hat. Unser Bikeabenteuer nähert sich dem Ende. Eine letzte Etappe führt uns in die Hügel des Hustai Nationalparks, wo wir in der Abenddämmerung an einer Wasserstelle tatsächlich die berühmten aber seltenen Przewalski Pferde aufspüren. Das einzige natürlich überlebte Wildpferd der Welt erinnert mit seinem gedrungenen Körper, dem hellgelben Fell und der kurzen, steifen Mähne an die Urpferde, die schon vor Jahrtausenden das Gebiet der Mongolei bewohnten. Wir werden ganz andächtig, währen das Reitpferd von Dschingis Khan der Sage nach beim Anblick eines Przewalski Pferdes scheute und den Herrscher des Weltreichs im hohen Bogen vom Rücken warf.
Bald werden wir zurück im Glutofen Ulan-Bator sein, in der aufstrebenden Metropole eines Landes, das möglicherweise bald aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Erdölfunde in der Wüste Gobi verbreiten unter den Mongolen Hoffnung auf Wohlstand. Bis jedoch der erste Tropfen schwarzen Goldes fliesst, sitzen die Mongolen, so sagt ein Sprichwort, als Bettler auf einem immensen Schatz. Wir geniessen die letzten Kilometer unseres Bike-Abenteuers, die Weite und Stille dieses atemberaubenden Landes, und werden beim Anblick zweier Jurten auf einer Hügelkuppe fast etwas wehmütig. Geradezu filmreif löst sich wie zum Abschied ein Pferd mit Reiter aus dem einsamen Jurtengefüge und galoppiert über die endlose Weite davon, dem Horizont entgegen.
Dieser Bericht wurde 2012 im FITforLIFE veröffentlicht.
Reisebericht-Autorin: Reisejournalistin und Reiseleiterin Caroline Doka
Infos zum Reisebericht
Reisejahr: 2010