Erfahrungsbericht Radreise in Kuba
Den wilden Osten von Kuba mit dem Mountainbike entdecken
Erfahrungsbericht Radreise in Kuba
Nach zwei Wochen Veloferien in Kuba bin ich bis zum Rand hin voll mit Bildern, Momenten, Klängen, Erlebnissen und Augenblicken mit starker Intensität. Kuba auf dem Bike zu erleben ist eine Herausforderung für alle Sinne. Oft fühlte ich mich wie in einem Film und ich war gleichzeitig Darsteller und Zuschauer. War mittendrin und doch ist es eine Welt die für uns auch fremd und zu weit weg vom Vorstellbaren ist.
Besuch in der Zigarrenfabrik von Santiago de Kuba
Bilder wie ich sie aus der Nachkriegszeit in Erinnerung habe! Die Arbeiter leisten alle Schicht und das hinter Gittern und gut bewacht. Musik oder staatliche Nachrichten sind aus dem Lautsprecher zu hören. Da rollen sie, kleben sie, füllen sie ein und sortieren sie täglich tausende von Zigarren… jeden Tag, immer wieder… und verdienen pro Monat ca. CHF 40.-. Am meisten hat mich die Aufgabe dieser Frau beeindruckt, welche Tag für Tag das Exportgut Kubas nach Farbe und Farbtönung sortiert! Sie macht pro Tag ca. 8000 Stück, eine nach der anderen! Im Stehen, beobachtet und im Akkord!
Bei uns ist die Zigarre ein Genussobjekt, schnell geraucht und in Luft aufgelöst. Aber ist sie das wirklich? Ist sie nicht vielmehr ein Symbol für eine Welt am Rande der Vergangenheit, wo die Zukunft ungewiss ist und die Menschen in Kuba eigentlich viel mehr verdienen sollten?
Lebensfreude der Kubaner
Ich habe in den zwei Wochen auf dem Fahrrad nicht eine einzige Situation erlebt, weder auf dem Lande draussen in der totalen Wildnis, noch in der Stadt mitten im Nachleben, wo eine Aggression oder ein heftige Auseinandersetzung stattfand. Ein so friedliches Folk mit so viel Freude, so viele Menschen die nichts haben aber immer eine Lachen schenken, eine Stimmung die überall wo wir waren spürbar war. Ganz selten habe ich so etwas erleben können ausserhalb Kubas!
Und das war auch in unserer Gruppe Radfahrer schon bald mal ein Grundgefühl, welches uns auf den unzähligen Touren und Erlebnissen begleitete. Das „Hola“, Tausendmal am Tag den vorbeiziehenden Menschen zugerufen… es kam fast immer ein „Hola“ zurück!
Radeln fördert den Gruppengeist
Es half uns die tropischen Regengüsse zu erleben und die unglaublichen steilen Bergkämme der Sierra Maestra zu erklimmen. Es liess uns als Schweizer mit einer zurückhaltenden Mentalität offen werden und schon bald war aus den 17 Individualisten eine interessante Mischung aus kleinen Abenteurern entstanden.
Für mich war es die erste Radreise dieser Art und ich habe meine Rolle als Gast sehr genossen! „Nur“ Mitfahren dürfen und die grosse Verantwortung übernahm unser Reiseleiter Adi Hurni. „Nur“ geniessen und mich jeden Tag von neuem an den vielen Überraschungen erfreuen zu dürfen.
Authentische Begegnung mit kubanischem Bauer
Da war doch dieser Bauer auf der Sierra Maestra, einem Gebirge welches den Namen verdient und durch knochenharte Steigungen mit bis zu 40% auch das stabilste Bike-Pedal zum knacken bracht. Er kochte uns Kaffe aus eigenem Anbau und stand bescheiden in seinen Gummistiefeln bei uns, sprach leise mit unserem Guide Adi Hurni, während dieser das knapp wochenalte Geisslein streichelte. Einen Moment im Leben wie er nicht wieder sein wird, nichts sagend und dennoch so schön zugleich. Bescheiden und doch voller Zufriedenheit.
Eine der vielen Überraschungen in unseren Veloferien, wo aus dem scheinbaren Nichts was Schönes entstand und wir als verwöhnte Menschen aus der Zivilisation staunen müssen und mit der inneren Frage ringen, was für ein Leben wir eigentlich bei uns zu Hause führen?
Diese allgegenwärtige Bescheidenheit, welche uns begegnet, welche uns zum Staunen bringt, dort wo die Frau des Bauern aus alten Zahnpastatuben eine Dekoration für das macht! Da wo nicht überall Müll herumliegt und die wunderbare Natur kaputt macht. Weil die Kubaner keinen Überfluss haben und in Bescheidenheit aus allem etwas machen können. Eine Seite des Lebens hier in Kuba welche mir nach den Erfahrungen in anderen Ländern in Südamerika imponiert hat!
Mit dem Fahrrad-Taxi zum Tanzen
Da war doch diese regnerische Nacht in Baracoa, das gediegene Abendessen im Kolonialrestaurant. Zum Hotel war es zu weit zu Fuss und ein Taxi machte irgendwie keinen Spass und nach dem Tanzen in der „Casa de la Trova“ haben wir Lust auf Fahrtwind!
Und schon steht das Dreirad-Taxi parat und unser Fahrer tritt mit seinen knapp 50 Kg in die Pedale was das Zeug hält. Tinu und ich bringen grad mal 170 Kg auf die Waage und das zweite Bici-Taxi schlägt einen zügigen Tritt an. Aber unser Fahrer lässt sich nicht abhängen und fährt gleichzeitig vor unser Hotel, wo die modernen Reisebusse stehen, für den Transport der ausgeschlafenen Gäste am Morgen danach.
Mountainbike-Trails im wilden Osten Kubas
Für uns galt das jedoch nicht am kommenden Morgen. Wir schwangen uns wieder auf die Sättel und erfuhren neue Bike-Trails im wilden Osten der Insel Kuba. Am Rande der Vergangenheit, auf der Suche nach den Grenzen in uns und in diesem Lande. Bei strömendem Regen überwinden wir die 1100 Höhenmeter und 15 Km auf den „Gran Piedra“. Oben bläst uns ein heftiger Wind entgegen, die Kleider sind nass bis auf die Haut.
Keiner von uns Bikern gibt auf, doch die Belohnung einer wunderbaren Aussicht ganz oben wurde uns verwehrt, es hatte dichten Nebel! Aber wir erfreuen uns an einem heissen Tee und geniessen den inneren Stolz über die sportliche Leistung. Ein wenig mehr zusammengerückt gibt es ein gemeinsames warmes Essen und die Gruppe übt sich in Solidarität und Teamgeist. Ist immer mehr bereit die Individualität abzulegen und das gemeinsame Ziel anzugehen.
Es ist sieben in der Früh, die Rezeption weckt auch die letzten Langschläfer und erinnert sie an den bevorstehenden Tag. Es gilt 113 Km per Mountainbike zurückzulegen, auf einer schlechten Küstenstrasse, entlang einem wunderbaren Meer, welches stundenlang an uns vorbeizieht. Getrieben von einem starken Willen, dem Teamgeist, der Herausforderung und der Suche nach neuen Grenzen! Die Gruppe wächst weiter zusammen, keiner gibt auf, alle schaffen das Unvorstellbare, sogar ich, keiner steigt ein in den Bus.
Fahrer Eduardo, die gute Fee im Hintergrund
Eduardo vollbringt auch eine Riesenleistung und donnert mit seinem Volvo Bus fast 400 Km und kommt uns entgegen. Immer bemüht einen super Service zu leisten und uns zu begleiten! Ein Busfahrer der weniger im Monat verdient, wie wir am Morgen von Arbeitsbeginn bis zur Z’Nüni-Pause! Ein Mann der es verdient mehr zu erhalten, einer der mit seiner bescheidenen Art und sicheren Fahrweise die ganze Gruppe mit den Bikes immer wieder wohlbehalten ans Ziel brachte. Jedem Schlagloch auswich, beim Ananas-Verkäufer stoppte und unsere Bikes am Morgen nach den Schlammschlachten sauber geputzt übergab! Ein Kubaner der uns wie viele andere auch mit seiner liebenswürdigen Art begleitete und aus der Bikereise mehr machte, auch wenn die Reise noch so lange dauerte.
Hasta pronto Cuba
Eine Reise am Rande der Vergangenheit, nach fast 40 Km durch wunderbare Landschaften und knietiefen Schlamm, direkt zum Eingang des modernen all-inclusive Resorts mit vielen Sternen und wenig kubanischer Bescheidenheit!
Die Gegenwart hat uns wieder und wir probieren aus unglaublich viel das Wenige als wichtig zu verstehen! Ich bin noch übervoll mit Tausenden Eindrücken und nun habe ich die Aufgabe daraus zu sehen was wichtig ist und es in meine Zukunft mitzunehmen.
Die eigentliche Reise des Lebens geht weiter und ich bin mir sicher, die Karibikinsel Kuba hinterlässt bei uns allen Spuren, auch wenn sie nur noch so bescheiden sind.
Reisebericht-Autor: Reiseteilnehmer Vittorio Wyssbrod