Biketour auf den Kapverden
Erlebnisbericht aus den Kapverdischen Inseln
Die kopfsteingepflasterten Serpentinenwege der Kapverden-Insel Santo Antão sind ein Leckerbissen für einigermassen nervenstarke Mountainbiker. Paradies für Biker – Paradies für die Einheimischen?
Die erste Lektion
Wer dem mausgrauen Herbst Mitteleuropas auf die Kapverden entflieht, bekommt es mit Neidern zu tun. Sie schwärmen von leeren Stränden, unberührter Unterwasserwelt, tropischer Vegetation und einer bunten Musikszene. Warum nur? – Weil sie noch nie da waren! Oder nur die Inseln Sal und Boa Vista vor Augen haben, wo sich faule Sonnenanbeter ihren Hautkrebs abholen. Von der bitteren Armut der Bevölkerung ahnen sie nichts. Wer jedoch mit dem Mountainbike auf den anderen Kapverdischen Inseln unterwegs ist, müsste blind sein, wollte er davon nichts mitbekommen. Nicht einmal die Hälfte der Einheimischen wohnt noch auch auf den Kapverden. Die meisten leben im Ausland und überweisen Devisen in die Heimat, ohne die ihre Verwandten auf den Inseln hungern müssten. Paradies geht anders.
Abenteuerliche Bootfahrt
Die zweite Lektion: „Irgendwas ist immer.“ Der Lieblingsspruch meiner Oma mütterlicherseits bewahrheitet sich gerade jetzt wieder. Wir „geniessen“ die Überfahrt von São Vicente nach Santo Antão bei Windstärke 6 und Kreuzsee: Die aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander klatschenden Wellen lassen die Fähre nicht nur auf und ab rollen, sondern auch von links nach rechts. Selbst die Einheimischen zeigen, was sie gestern gegessen haben. Ein Typ mit Bob-Marley-Frisur verteilt grüne Plastikeimer, was farblich irgendwie passt. Ich werde zum Glück nie seekrank und habe Zeit, mir anzuschauen, was mich dort drüben erwartet. Hinter mir, auf São Vicente, sehe ich eine durchaus eindrucksvolle Landschaft mit eher sanften, nahezu vegetationslosen Bergen, Schluchten und Tälern. Vor mir, auf Santo Antão, sehe ich eine durchaus eindrucksvolle Landschaft mit diesmal eher schroffen, nahezu vegetationslosen Bergen, Schluchten und Tälern.
Sind die Kapverden wirklich grün?
Von wegen Cabo Verde, grünes Kap. Von grün ist weit und breit nichts zu sehen! Kolumbus segelte bei seiner dritten Reise nach Amerika hier vorbei – besuchen wollte er die Kapverden dennoch nicht. Die 15 Inseln westlich von Afrika waren ihm schlicht zu „dürr”. Angeblich kommt der Name daher, dass die Eilande für ihre Entdecker hinter dem Cap Vert Senegals lagen. Egal. Meine Oma würde fragen: „Und wem gefällt’s hier?“ Im Reiseführer lese ich, dass der Archipel bis zur Ankunft der Portugiesen vollkommen unbesiedelt war. Vielleicht hätte man es dabei belassen sollen. In Porto Novo holen wir die Bikes aus dem Bauch der Fähre und kurbeln los. Endlose Serpentinen auf einer Pflasterstrasse. Sahara-Wind bläst uns ins Gesicht, als ob ein Föhn auf Stufe Drei röhrt. Wie sangen die Humpe-Sisters damals zu Neue-Deutsche-Welle-Zeiten? – „Monotonie in der Südsee, Melancholie bei 30 Grad…“.
Abwechslungsreiches Landschaftsbild
Als ich mich damit abzufinden beginne, dass das hier keine Liebe auf den ersten Blick mehr wird, ändert sich die Landschaft. Und zwar geradezu schlagartig. Auf 1’300 Metern Höhe wechseln wir auf die Luvseite der Insel und sind plötzlich von einer überwältigenden Botanik umgeben. Die Ocker- und Brauntöne der staubigen, ausgebrannten Erde weichen dem satten Grün von Kiefern und Eukalyptus, Zypressen und Pinien. Tief unten sehen wir bizarre Schluchten und tropische Täler. In den Terrassenkulturen an den Hängen gedeihen Kartoffeln, Maniok und Mais.
Biketour im Vulkankrater
Mit vor Staunen grossen Augen rollen wir mit den Fahrrädern in den kreisrunden Krater eines erloschenen Vulkans hinab. Vom Grund der Caldera ertönen die rhythmischen Gesänge der auf den Feldern arbeitenden Bauern. Hier steigen wir ab und schieben die Bikes auf einem steilen Pfad bis zum Kraterrand hinauf. Reto ist direkt vor mir und ich höre ein erschrockenes „Boah ey“, als er vorsichtig über die Kante linst. Das ist weder Schwyzerdütsch für Anfänger, noch das offizielle Idiom Portugiesisch, und auch nicht die Umgangssprache Kreolisch. Es heisst übersetzt so etwas wie: „Da sollen wir runterfahren?“ – Okay, als ernsthafte Biker finden wir den Werbeslogan des Bergsport-Labels Black Diamond „Because Flat Sucks – Weil flach langweilig ist“ ziemlich witzig. Aber sooo steil und ausgesetzt müsste es ja auch nicht sein.
Das Mäuerchen
Vor uns sehen wir eine nahezu senkrechte Bergflanke, durch die sich ein schmaler, steiler Pflasterweg windet. Als psychologische Stütze ist seitlich ein Mäuerchen aufgeschichtet – gerade so hoch, dass bei einem Sturz das wertvolle Fully hängenbleibt und nur der Fahrer über die Kante ins Nichts segelt. Theo schaut sich das kurz an und sagt: „Also ich schieb‘ dann mal los. Wandern macht mir Spass.“ Ich erinnere mich an den jungen Burschen in Porto Novo, der unsere Pläne mit dem Satz kommentiert hatte: „Mit dem Rad? Nur zu Fuss! Mit dem Rad wirst Du abstürzen.“
Maultierpfade als Bike-Trails
Ganz so dramatisch ist es dann doch nicht. Nur anfangs zittern wir uns mehr schlecht als recht durch die Haarnadelkurven dem Talboden entgegen und steigen an den gefährlichsten Stellen auch mal ab. Die spektakuläre Szenerie ist jeden Meter Schieben wert. Weiter unten werden wir mutiger, können wir sogar ab und zu den Blick vom Vorderreifen abwenden. Wir cruisen durch Kaffee- und Zuckerrohrpflanzungen, in denen sich kleine Dörfer mit aus Maisstroh gedeckten Steinhäuschen verstecken. Ganze Heerscharen von Kindern begleiten uns. Einige rufen „Bonbon, Foto, Money!“, andere wollen nur wissen wie wir heissen, um sich dann beim Nachplappern unserer Namen fast die Zunge zu brechen. Vor den Häusern sitzen milchkaffee-farbene Schönheiten mit teilweise hellem Haar – für die Portugiesen waren afrikanische Sklaven zwar keine Menschen, aber Sklavinnen als Bettgefährtinnen durchaus willkommen.
Trekking und Biking
Natürlich treffen wir während des Haarnadel-Downhills auch deutsche Trekking-Gruppen, schliesslich gilt Santo Antão als grünes Wanderparadies. Mit ihren Sonnen-Schlapphüten sehen sie aus wie das sorgfältig zusammengestellte Ensemble einer Schlingensief-Inszenierung. Und natürlich müssen sie uns auch in bester Oberstudienrätinnen-Manier und mit erhobenem Zeigefinger über die Gefahren des Mountainbikens in entlegenen Weltregionen belehren. Die Kapverden seien keine südliche Verlängerung der Kanarischen Inseln. This is Africa! Jawohl! Sie selbst suchten ja bewusst das ursprüngliche Erlebnis, den Kontakt mit der reizenden Bevölkerung. Auf einem Hightech-Bike sei das sicher schwierig. – Aber immerhin geben sie Tipps für künftige Touren. Sämtliche Wege, die sie uns auf der Karte zeigen und mit einem „nicht fahrbar“ kommentieren, streichen wir dick an.
Beim Pico da Cruz
An den folgenden Tagen erkunden wir sämtliche Winkel der Insel. Jede Tour führt in eine andere Welt: Vom üppig bewachsenen Gipfel des Pico da Cruz (1’585 m) geniessen wir die Aussicht hinüber zu den Nachbarinseln São Vicente und São Nicolau. Und auf der anderen Seite, im Westen, entdecken wir karge Hochebenen, die fast ein wenig an Tibet erinnern. Immer aber wartet nach dem Höhenmeter-Fressen eine fantastisch-gruselige Abfahrt auf schmalsten Pfaden. Und ebenso sicher endet jede Tour direkt an der Küste, wo wir uns in einfachen Kneipen fangfrisches Meeresgetier und Wein von der Nachbarinsel Fogo servieren lassen.
Zuckerrohrschnaps Grogue
Après-Bike-Sensationen und eine luxuriöse Infrastruktur darf man in diesen weltabgewandten Ortschaften freilich nicht erwarten. Die Tage vergehen langsam, sie sind so zähflüssig wie die Lava, die sich auf Fogo immer mal wieder vom Vulkan ins Meer ergiesst. Die Welt der Touristen-Strände auf Sal und Boa Vista ist hier sehr weit weg. Diejenigen Kapverdianer, die als Emigranten zu etwas Geld gekommen sind, tünchen ihre Häuschen in Pastell-Farben und schmücken ihre Gärten mit Bougainvilleen. Die anderen sitzen vor ihren verfallenden Hütten, trinken Grogue, den Zuckerrohrschnaps der Insel, und warten auf bessere Zeiten. Man hat das Gefühl, sie wissen noch nicht so genau, wo sie hingehören zwischen Afrika, portugiesischer Kolonialzeit und touristischer Zukunft.
Adlerhorst Fontainhas
Trotzdem fühlen wir uns wohl hier. Wir inhalieren das so leichte Lebensgefühl der Einheimischen und nehmen es locker, wenn etwas nicht so läuft wie geplant, was es eigentlich nie tut. Und wir haben auch akzeptiert, dass die Wege hier immer ruppig und ausgesetzt sind. Der heutige schlängelt sich an einer wilden Steilküste über dem schäumenden Atlantik entlang. Manchmal kommen wir dem wütenden Ozean so nah, dass uns fast die Gischt ins Gesicht spritzt. Dann schieben und tragen wir die Mountainbikes wieder mehrere hundert Höhenmeter auf steilen Treppen nach oben. Erst nach mehreren Stunden erreichen wir Fontainhas, das wie ein Adlerhorst auf einer Klippe thront.
Die zauberhafte Stimme der Césaria Evora
Öffnet externen LiDas Leben hier ist hart, mit dem Auto ist das Dorf nicht zu erreichen. Nur über das Meer, oder über den Maultierpfad, den wir kurzerhand vom Wanderweg zum Bike-Trail umgewidmet haben. Mit Mühe finden wir eine Frau, die uns eine Cola verkauft, mit der wir unsere Zuckerspeicher auffüllen. Aus dem Radio ertönt Césaria Evora, die bekannteste Sängerin der Inseln. Sie gilt als die ungekrönte Königin der Morna, dieser so melancholischen Musik der Kapverden. Mit ihren Liedern trägt sie die von Isolation, Sklavenhandel und Emigration bestimmte Geschichte ihrer Heimat in alle Welt. Wir verstehen nicht viel von den Texten, aber ein Schlüsselwort taucht immer wieder auf: Saudade. Das Konzept der Saudade lässt sich mit „Traurigkeit“, „Wehmut“ oder „sanfte Melancholie“ nur unzureichend übersetzen. Es steht für das nostalgische Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, das wohl nicht wiederkehren wird.
Als wir am späten Nachmittag müde aber glücklich in Ponta do Sol ankommen und die Bikes für die Heimreise in Kartons verpacken, überkommt uns das diffuse Gefühl der Saudade. Wir haben dieses auf den ersten Blick so abweisende Stückchen Erde mit seinen rustikalen Pflasterwegen, den haarsträubenden Haarnadel-Kurven und seinen so rätselhaften Menschen ins Herz geschlossen. Um die Saudade zu lindern, gibt es eigentlich nur ein Rezept: möglichst bald wiederzukommen.
Reiseinformationen
Die 15 Inseln, die mitten im Atlantik etwa auf der Höhe des Senegal liegen, sind seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 eine eigene Republik. Es wird unterschieden zwischen den Inseln über dem Wind (Ilhas de Barlavento) und den Inseln unter dem Wind (Ilhas de Sotavento). Die Inseln über dem Wind sind Santo Antão, São Vicente, São Nicolau, Sal, Boa Vista und die unbewohnten Inseln Santa Luzia, Branco und Raso. Zur Sotavento-Gruppe gehören Maio, Santiago, Fogo und Brava sowie die unbewohnte Inselgruppe der Ilhéus do Rombo.
Wetter/Klima
Ganzjährig warm und fast immer sonnig, mit Temperaturen um die 25 bis 28 Grad an der Küste. In den Höhenlagen der Berge ist es oft neblig und entsprechend kühler. Der Atlantik ist stets mehr als 20 Grad warm.
Biken in Cabo Verde
Von den neun bewohnten Inseln eignen sich drei zum Mountainbiken: Santo Antão, Santiago und São Nicolau, mit Abstrichen auch São Vicente. Insel-Hopping ist deshalb grundsätzlich eine gute Idee, zumal die Inseln völlig unterschiedliche Gesichter haben. Allerdings: Logistisch ist das schwierig, denn zwischen den südlichen und nördlichen Inselgruppen liegen an die 200 Kilometer, wofür die Fähren gut 30 Stunden brauchen – sofern sie fahren, was stark von Wind- und Wetterverhältnissen abhängt. Die Alternative: Man bucht einen Inlandsflug von Insel zu Insel, zum Beispiel von Santiago nach São Vicente. Dann aber ist die Gefahr gross, dass das Bike am Boden zurückbleibt, weil Sperrgepäck nur dann transportiert wird, wenn wichtige Fracht wie Medikamente und Lebensmittel verstaut sind und noch Platz ist.
Ausserdem konzentrieren sich die spektakulären Wege und Trails auf Santo Antão. Es bietet sich deshalb an, nach São Vicente zu fliegen, dort einige Tage die schönste Hafenstadt des Archipels, Mindelo, und die nahen Strände zu geniessen, und dann mit der Fähre nach Porto Novo auf Santo Antão überzusetzen (ca. 1 Std.).
Die Sotavento-Insel Santiago ist zum Biken auch ganz nett und weniger ruppig als Santo Antão, vor allem ist sie jedoch historisch interessant: Cidade Velha, heute ein verschlafenes Nest am Meer, war einmal die Hauptstadt des Archipels und das Zentrum des transatlantischen Sklavenhandels. Die Stadt hatte Mitte des 16. Jahrhunderts nach Lissabon das zweithöchste Steueraufkommen im portugiesischen Weltreich. Man sieht hier noch den Pranger, eine 1520 errichtete achteckige Säule, an der die Sklaven für die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen der Neuen Welt weiterverkauft wurden. Auf Santiago sind deshalb die afrikanischen Wurzeln am deutlichsten zu spüren. Die Insel ist ebenso wie Santo Antão und São Nicolau das Kontrastprogramm zu den Strandparadiesen Sal und Boa Vista mit seinen Bettenburgen.
Veranstalter
Der Schweizer Spezial-Veranstalter „Bike Adventure Tours“ bietet mehrmals pro Jahr eine vierzehntägige MTB-Reise auf die Kapverden an, begleitet von einem erfahrenen Reiseleiter. Bei den Höhenmetern ist Flexibilität Trumpf: Wer will, startet am Meer und kommt dann auf bis zu 2’000 Höhenmeter täglich. Wer nicht will, setzt sich in den Shuttle-Bus. – Für die Trails eignet sich am besten ein Allmountain-Fully mit ca. 150 mm Federweg vorne und hinten.
Reisebericht-Autorin: Günter Kast
Weiterer Reisebericht über die besten Trails auf den Kapverdischen Inseln auf unserem Partnerportal der Welt Explorer.